Die ehemalige Habsburger-Festung Franzensfeste liegt zwischen Bozen und dem Brenner auf einer der wichtigsten Verkehrsverbindungen Europas und ist einer der vier Manifesta-Standorte in der Region Trentino-Südtirol. Das Verteidigungsbollwerk wurde als späte Reaktion auf die napoleonischen Kriege unter Franz I geplant und 1838 von dessen Nachfolger Kaiser Ferdinand I dem österreichischen Militär übergeben. Franzensfeste sollte den Übergang zwischen den nord- und südeuropäischen Provinzen des Habsburgerreiches sichern. Grundlage für den Bau der Anlage waren militärische Bedrohungsszenarien, die in den folgenden Jahrzehnten zu einem großen Teil nicht eintrafen. Auch deshalb verlor die Festung schnell an Bedeutung. Kampfhandlungen fanden dort keine statt. Diese Befestigungsanlage und deren Geschichte bilden die Basis für den künstlerischen Kontext in dem die Ausstellung von Manifesta 7 steht.
Das Ausstellungsprojekt trägt den Titel Scenarios und will die außergewöhnliche Kulisse Franzensfeste in einen Schriftraum mit Sprachaufnahmen, Text, Licht und Landschaft verwandeln. Scenarios soll unsere Vorstellung über die Art und Weise, wie imaginäre Szenarien als „Ein-Bildungen“ unser Verständnis von Vergangenheit und Zukunft, Tatsachen und Möglichkeiten formen, verändern. Diese „immaterielle“ Ausstellung bemüht sich darum, ihren Standort in die Phantasie des hörenden Besuchers zu verlagern. Schriftstellerinnen und Schriftsteller aus aller Welt liefern Texte für Scenarios, die eigens für diesen Kontext verfasst wurden. Diese Schriften reflektieren den Prozess der Entwicklung von Szenarien und damit des Vorstellungsvermögens selbst. Als Sprachaufnahmen und Soundarrangements sind die Texte individuell in den monoton aufeinander folgenden Innenräumen der Festung eingerichtet – in einem architektonischen Umfeld also, das von der Abwesenheit der historischen Nutzer und jener Szenarien geprägt ist, zu deren Bestandteilen auch die Festung und deren Besatzung einmal gehört haben.
Scenarios ist eine kritische Reflexion über jene Rolle, die Szenarien in unserer Gesellschaft und in der individuellen oder kollektiven Vorstellung spielen. Heute sind wir, wenn auch häufig unbewusst oder unfreiwillig, Teil bereits projizierter „Szenarien“, die uns geformt haben, die unser Sein vorweg prägen, die Alltagssituationen und alltägliche Erfahrungen bestimmen. Das Projekt will zum Nachdenken darüber anregen, wie wir Szenarien und Geschichten vervollständigen, in dem wir zu deren Bestandteil werden. Als Ausstellungsprojekt zeigt Scenarios deshalb keine (oder wenig) Bilder, sondern stellt vielmehr jene Bilder in Frage, die wir bereits in uns tragen, die uns auferlegt wurden oder die kreative Phantasie auslöst. Damit soll ausdrücklich mit der Ordnung des Augenscheinlichen und mit der damit verknüpften Produktion (materieller) Zeugnisse als Tatsachen gebrochen werden.
Adam Budak, Anselm Franke/Hila Peleg, Raqs Media Collective
SCENARIOS
Dramaturgy by Ant Hampton, Audio Design by Hannes Hoelzl, Furniture Design by Martino Gamper
CONTRIBUTORS
Shahid Amin, Hélène Binet, Brave New Alps, Adriana Cavarero, Mladen Dolar, Harun Farocki, Karø Goldt, Larry Gottheim, Renée Green, Timo Kahlen, Karl Kels, Thomas Meinecke, Glen Neath, Margareth Obexer, Philippe Rahm, Arundhati Roy, Saskia Sassen, Michael Snow, Saadi Yousef