Anschauungsunterricht bezeichnet ein auf Objekten basierendes Lernen. Er kennzeichnet eine pädagogische Ausrichtung, die in den von Johann Heinrich Pestalozzi und Friedrich Fröbel entwickelten Theorien und Praktiken des frühen 19. Jahrhunderts begründet ist. Im beginnenden 20. Jahrhundert nimmt der Anschauungsunterricht eine zentrale Position in Walter Benjamins Schriften über Kinderbücher und Spielzeuge ein. Er findet sich in seinen Betrachtungen über die pointierten Effekte und die potentielle Bedeutung des Kitsches, seinem Verständnis des Surrealismus und seiner Konzeptualisierung der technologischen Medien. Das Museum of Learning Things bringt Bilderbücher und andere Materialien sowie Werke von Max Ernst und Gerd Arntz und Publikationen des Philosophen Otto Neurath zusammen, die allesamt im Kontext des Anschauungsunterrichtes im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert verwendet wurden. Als Gründer des Wiener Museums für Gesellschaft und Wirtschaft im Jahr 1925 arbeitete Neurath mit Arntz und anderen Kollegen daran, die „Massenerscheinungen“ des zeitgenössischen Lebens – einschließlich der alltäglichen unsichtbaren gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Prozesse – einem Publikum der Arbeiterklasse verständlich zu machen. Zu diesem Zweck übernahm die „Wiener Methode“ der grafischen Dar- und Ausstellung in Museen Techniken der modernen Werbung und der neuen Medien für die Entwicklung innovativer Systeme der visuellen Bildung. Wie Menschen ab ihrer Kindheit in visuellen und anderen Arten der Wahrnehmung „trainiert“ werden, ist auf der heutigen politischen und ethischen Agenda ein ebenso wichtiger Punkt, wie für Benjamin und seine Zeitgenossen. Das Museum of Learning Things untersucht diese Frage gleichermaßen als Intervention in die Alltagskultur und wichtigen historischen Moment der bildenden Kunst und ästhetischen Theorie des modernen 20. Jahrhunderts.
Brigid Doherty arbeitet als Wissenschaftlerin an der Fakultät für Germanistik und Kunst & Archäologie and der Universität Princeton, USA.
PALAZZO DELLE POSTE, VIA S.S. TRINITA’ 27, I-38100 TRIENT, ITALIEN
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